Die Freude des «Hinschmetterns»
Die Leidenschaft für seine Kunst und seine Fähigkeit so lebhaft zu erzählen, dass die Gipfel im Himalaya-Gebirge vor dem inneren Auge Gestalt annehmen, machen Hans Jossi zu einem fantastischen Gesprächspartner, Maler und Autor.

Gipfel um Gipfel, Berg um Berg, überzogen von Wäldern. Die Tannenspitzen gebadet im Sonnenlicht. Der Tageszeit entsprechend sind die Farben voll und satt. Man möchte gar nicht aufhören hinzuschauen, jedes Detail in sich aufnehmen, ja nichts vergessen. Die Seele atmet die Natur ein. Und dann KNIPS, mit dem Smartphone ein Foto gemacht und den unvergesslichen Anblick für immer festgehalten – vermeintlich.
Nur stimmt mit dem Foto nicht ganz alles. Die Farben sind anders. Die Tiefe, die Weite, das Gefühl der Unendlichkeit der Welt fehlen. Das Bild ist flach und klein auf dem dauer-präsenten Bildschirm. Und wird bald vergessen sein, zwischen den anderen Momenten, die nur selten oder nie mehr angeschaut werden.

Die Kunst des Sehens
Einer macht es anders. Hans Jossi, heimatberechtigt in Grindelwald und aufgewachsen im Berner Oberland, viel herum gekommen in der Schweiz und weit darüber hinaus, heute wohnhaft in Uetendorf, ist Maler. Seine Kunst hält die Berge dieser Welt auf der Leinwand fest. Nicht nur die der Schweiz. Sämtliche 8000-er Riesen hat er soweit möglich vor Ort besucht. Er war in Nepal, Tibet, in Pakistan, und auch bei den grossen Bergen in Nord- und Südamerika, vom Denali in Alaska, bis nach Patagonien. Immer mit dabei: ein Zeichenblock und Stifte.
«Bewusst zu sehen, macht den Unterschied», erklärt Hans Jossi mir in seiner Küche in Uetendorf. «Was verstehst du unter bewusstem Sehen?», frage ich nach. «Bewusst sehen heisst, genau hinsehen. Details, Licht, Schatten wahrnehmen und das Gesehene aufs Papier übertragen», erklärt der leidenschaftliche Öl-Maler. Er zieht das Beispiel vom Smartphone-Foto heran. «An diese Bilder erinnert man sich zwei Wochen später nicht mehr, sie sind flüchtig.» Und relativiert: «Im Gegensatz zu den Fotos ‘richtiger’ Fotografen oder Fotografinnen, die ein Bild komponieren. Die genau überlegen, wie mit Licht und Schatten umzugehen ist. So ist es auch in der Malerei.»

Die Freude des Hinschmetterns
Die Kunst liegt für Jossi ausserdem im Weglassen. Und zwar Details, die das Bild auf dem Smartphone eben alle noch hat. Details, die es nicht braucht. Details, die die Stimmung verderben. Details, auf die Hans Jossi getrost verzichtet. Stattdessen fährt er mit schnellen, gezielten Strichen über die Leinwand, als er mir später in seinem Atelier seine Technik zeigt.

Das erste Werk
Doch wie kam es dazu, dass dieser Mann Bilder malt, die die Herzen von Berg- und Kunstliebenden schneller schlagen lassen? Angefangen habe es in der Kindheit, und zwar «Querbeet». Die erste Malerarbeit sei auf wenig Gegenliebe seiner «Kundschaft» gestossen: «Ich habe die Silberbronze in der Werkstatt meines Vaters stibitzt und das Treppengeländer gestrichen», erinnert sich der Übeltäter. Ihm gefiel seine Arbeit, den Eltern nicht. In der Schule habe er einen Lehrer gehabt, der gar nicht zeichnen konnte. So übernahm der junge Hans Jossi, der damals Buch um Buch über das Malen und Zeichnen verschlang, den Unterricht einfach selbst.
Ein verschmitztes Grinsen legt sich über das Gesicht des 78-Jährigen, dem man sein Alter nicht glaubt. Die Erinnerung an die vergangenen Kindertage ist lebendig. So lebendig wie die Erinnerung an all die Plätze und Orte, die er auf Leinwand bannte. Die Liebe zu den Bergen wurde ihm in die Wiege gelegt. Seine Familie besteht auf allen Seiten aus Bergführern und Bergsteigern. «Berge sind für mich im Zentrum. Ich könnte nie in Holland leben, wo es flach ist», erklärt er. Er hat die Gipfel nicht nur gemalt, sondern viele auch bestiegen. Und dabei wunderbare Erinnerungen gesammelt.

Von den Erinnerungen, die bleiben
Im Herbst 2025 veröffentlich Hans Jossi beim Weber Verlag ein Buch mit Geschichten aus seinem Leben und einer Sammlung seiner Werke. Passend dazu findet die Ausstellung «Grindelwald grüsst die Berge der Welt» statt, mehr dazu im Kasten.
In seinem Buch erzählt Jossi unter anderem von einer aufmüpfigen Dusche in Nepal, von herzlichen Begegnungen und unglaublichen Sternennächten bei eisiger Kälte in Tibet und vielen weiteren kleinen und grossen Erlebnissen auf seinen Reisen.
So schreibt er etwa: «Wo man sich in den Bergen auch aufhält – überall prachtvolle Szenerien und Stimmungen. Bei Unwetter bedrohlich, bei Sturm und Kälte gefährlich, aber auch unglaublich grossartig … Wenn am stahlblauen Morgen, mit glanzvollen Lichteffekten die Bergspitzen bei aufgehender Sonne nur so leuchten … dann kehrt grossartiger Bergfrieden ein. Es sind Glücksgefühle der ganz besonderen Art.»
Und erzählt auch von unglaublichen Sternennächten.
«Wir legen die Matte auf den Boden, kriechen in den Schlafsack, ziehen die Mützen über die Ohren, legen uns auf den Rücken und betrachten den Sternenhimmel. Genau das wollte Hellmuth mir zeigen. Ich war absolut sprachlos, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. So etwas habe ich noch nie gesehen. In absoluter Finsternis, ohne das kleinste störende Licht, starren wir zum Nachthimmel. Der Mond zeigt sich nur als kleine Sichel. Das Sternenmeer ist unglaublich, gigantisch, ehrfurchteinflössend. Es gibt keinen Quadratzentimeter ohne einen Stern. Wir sehen mit blossem Auge Satelliten, die ihre Bahn ziehen. Da und dort, selten zwar, aber sichtbar der eine oder andere Lichtschweif, vielleicht ein Komet, der seine Spur in das Firmament zeichnet. Da kommen schon Fragen auf. Wer hat das alles so erschaffen? Ein Zufall oder ein zufälliger Urknall scheidet in dem Moment aus.»
Neben den grössten Gipfeln der Welt, findet Jossi seine Motive auch direkt vor der Haustür. Am Ufer des Thunersees beim Neuhaus setzt sich Jossi gerne hin – manchmal sogar mitsamt Leinwand und Pinsel statt Skizzenblock und Bleistift. Innerhalb kurzer Zeit fängt er die Stimmung an der Tür zum Berner Oberland ein.

Die Macht des Querdenkens
Ob er denn auch beruflich kreativ gewesen sei, will ich wissen. «Kreativ ja, aber auf eine andere Art», lautet die Antwort. Für den Einstieg ins Berufsleben wählte er Kreativität und Handwerk. Er wurde Gipser und Stuckateur. «Das ging eine Weile gut. Aber als die Gründung einer Familie bevorstand, war mir klar: Für ein halbes Jahr nach Frankreich verschwinden, um an einem kleinen Schloss zu arbeiten, das geht nicht.»
Jossi machte eine kaufmännische Weiterbildung, studierte Teile der Betriebswirtschaft und landete in der Unternehmensberatung. Inwiefern er da kreativ war?
Hans Jossi wirft mir einen amüsierten Blick zu und ich fühle mich sofort jünger, als ich bin. Aber auf eine angenehme Weise. Da sitzt einer, der seine Erfahrung gerne und freimütig teilt. «Wenn du ein Unternehmen beraten willst, das gut werden soll, musst du querdenken», so Jossi. Querdenken. Neue Wege beschreiten und vor allem die Leute um sich herum – besonders die Chefetage – überzeugen, etwas anders zu machen – eben anders als die anderen. Aussergewöhnlich sein, sei oft der Erfolgsfaktor. Keine einfache Aufgabe. Aber eine, die ihm offensichtlich Spass gemacht hat: Auch heute noch beschäftigt er sich mit der Wirtschaft unserer Zeit.
Einen Moment nachdenken muss Hans Jossi, als ich wissen will, wann er am liebsten den Pinsel schwingt. «Der Mittag ist sicher die schlechteste Zeit. Ohne Streiflicht hat es zu wenig Licht und Schatten – und das male ich hauptsächlich.» Besser geeignet seien der Morgen und der Abend.

Wissen, wann es reicht
Und wann ist ein Bild fertig? Hans Jossi lehnt sich im Stuhl zurück und sagt langsam und bestimmt: «Wenn es nicht fertig ist, ist es fertig.» Als ich nachhaken will, fährt er fort: «Zeichnen und Malen heisst: weglassen. Deshalb fasziniert mich die Primamalerei. Mit einem Strich fertig machen, ohne korrigieren und verbessern.» Die Harmonie zwischen Licht und Schatten müsse stimmen. Und dann «ist das Bild fertig, einen Schritt, bevor es fertig wird.»
Zur Zukunft
Die Ausstellung „Grindelwald grüsst die Berge der Welt“ im Oktober 2025 soll auch dazu genutzt werden, die „Schweizer Patenschaft für Berggemeinden“ über die Erlöse aus den Verkäufen der Bilder materiell zu unterstützen. Die Hilfen, die durch die Schweizer Patenschaft für Berggemeinden den in finanziellen Engpässen steckenden Berggemeinden zukommen lässt, tragen zu deren Fortbestand bei, ermöglichen Infrastrukturbauten, die zur Sicherheit dienen und leisten einen aktiven Beitrag, der Abwanderung aus den Berggebieten entgegenzutreten.